Einfühlung
Einfühlung ist das deutsche Wort für Empathie. Einfühlung ist grundverschieden von Sympathie, Harmonie oder Mitleid.
Inhaltsverzeichnis
Primäre, sekundäre und tertiäre Empathie
Wie alles anfing
Zu Beginn meiner Beschäftigung mit der Gewaltfreien Kommunikation von Marshall Rosenberg habe ich mich hauptsächlich mit der Frage beschäftigt, was Empathie eigentlich ist. Darauf gibt es sicher viel Antworten, je nach Kontext. Mich hat natürlich hauptsächlich interessiert, um was es sich handelt, wenn Rosenberg von empathy spricht, weil ich den Eindruck hatte, dass diese Einfühlung der Kern der GfK ist.
Ich bin zu zwei verschiedenen Antworten gekommen, je nachdem, ob ich die phänomenologische Frage stellte, oder die funktionale:
- Was geschieht, wenn Einfühlung passiert? Ich frage nicht, was passiert, wenn jemand Einfühlung gibt, weil ich, vor der Erkenntnis, was Einfühlung für ein Phänomen ist, gar nicht erkennen kann, ob man es gibt, oder nimmt oder ob es einfach "geschieht".
- Was bewirkt die Einfühlung im GfK-Prozess? Welche genaue Funktion erfüllt sie? Die Antwort auf diese Frage habe ich zwar erst später gefunden, finde es aber leichter, es zu erklären:
Zur Funktion
Das primäre Problem ist die Entfremdung der Person von sich selbst. Das Problem und seine Ursachen hat Arno Gruen in seinem Buch "Der Verrat am Selbst – Die Angst vor Autonomie bei Mann und Frau" 1984 ausführlich beschrieben, aber ohne Lösungsweg. Wilhelm Reich hat sich in "Rede an den kleinen Mann" bitterlich über das beklagt, was er die Emotionale Pest nannte und ihm seine außerordentlichen psychotherapeutischen Erfolge immer wieder revidierte.
Entfremdung bedeutet hier also weniger die marxistisch-ökonomische Sicht, sondern die kognitive Trennung des Individuums von seinen Gefühlen. Es ist ja nicht so, dass die Menschen aufhören etwas zu fühlen, selbst wenn sie stark entfremdet sind. Sie nehmen ihre Gefühle nur nicht mehr ausreichend wahr. Und selbst die wahrgenommenen Gefühle werden nicht hinreichend anerkannt und als Anlass für entsprechende Handlungen ernst genommen. So können die Gefühle ihre Aufgabe als die Vermittler zwischen den Bedürfnissen und dem Bewusstsein nicht mehr erfüllen.
Die vordringliche Aufgabe liegt also darin, die Gefühle wieder hinreichend wahr zu nehmen und auch anzunehmen. Grundsätzlich würde eine Bemühung, eine Übung in Selbsteinfühlung diese Funktion erfüllen. Aber, aller Anfang ist schwer und Unterstützung von Außen kann da sehr helfen. Wenn also eine andere Person sich in die entfremdete Person einfühlt, wirkt das als Verstärkung des Gefühls. Das wiederum verbessert die Eigenwahrnehmung, wenn auch nicht nachhaltig, sondern nur in diesem Moment. Nicht nur die Wahrnehmung des Gefühls durch andere, auch die Annahme durch andere hilft, und zwar dabei, sie selbst anzunehmen und ernst zu nehmen. So kann die Einfühlung durch andere die Selbsteinfühlung anstoßen, in Gang bringen, verstärken, stützen, genauer machen. So gesehen ist die Einfühlung in andere nur eine Überbrückungshilfe, bis diese gelernt haben, sich in sich selbst einzufühlen. Um so besser man sich selbst Einfühlung geben kann, um so weniger benötigt man Einfühlung von Außen. Idealerweise übt man die Selbsteinfühlung so weit, dass sie die krank machenden Wirkungen des Prozesses der Entfremdung aufheben und das Gefühlsleben wieder ungehindert und natürlich "wie von selbst" funktionieren kann.
In so fern man die Gesellschaft als eine Ansammlung mehr oder weniger entfremdeter Individuen ansieht, versteht sich, dass man als selbst entfremdeter Mensch gewisse Schwierigkeiten hat, sich in andere einzufühlen. Die Einfühlung wird also fehlerhaft sein, unvollständig, verzerrt. Daher besteht sogar die Gefahr, dass diese notwendigerweise fehlerhafte Einfühlung demjenigen, dem sie helfen soll, eher schadet. Es wäre also besser, wenn weniger entfremdete Personen den mehr entfremdeten Personen Einfühlung "geben", als umgekehrt. Auch kann es helfen, wenn mehrere Personen sich gegenseitig darin unterstützen, einer anderen Person Einfühlung zu geben. So oder so muss es als iterativer Prozess angesehen werden. Man hilft sich mit der Einfühlung, so fehlerhaft sie anfangs auch sein möge, gegenseitig immer wieder ein Stück voran zu kommen. In etwa so, wie ich Dir auf eine hohe Mauer helfen kann und Du mich dann von oben hoch ziehen kannst. Und dann stehen wir auf der Mauer und sehen die Mauer hinter der Mauer, die noch höher ist. Wer darf dieses mal zu erst? So helfen wir uns gegenseitig hinweg, über die eigenen Mauern der Entfremdung.
Zum Phänomen
Wie sieht die Einfühlung an sich aus? Im Prinzip ist Einfühlung dermaßen primär, so unglaublich einfach, dass der "zivilisierte" sie gebende Geist es schwer hat, sie als wertvoll und wichtig anzusehen. Deshalb wird diese Phase in unsere Kommunikation für gewöhnlich auch auf Sekundenbruchteile verkürzt, und somit unsichtbar gemacht. Und wenn man versucht, sie zu üben, kann es sehr leicht sein, dass man es unmittelbar macht, ohne es wirklich zu bemerken, weil es so einfach, so "billig" ist, so lächerlich simpel. Und dann versucht man darüber hinaus etwas zu machen, etwas dem man einen Wert beimessen kann, obwohl man schon "fertig hat". Die Übung in Einfühlung ist also mehr eine Unterlassung, als ein Tun. Man könnte das Phänomen Einfühlung also beschreiben, indem man alles aufzählt, was es nicht ist. Aber was bleibt dann über?
- Die Wahrnehmung eines Gefühls.
- Nehme ich mein Gefühl wahr ist es Selbsteinfühlung.
Wie aber nehme ich Gefühle anderer war? Direkt! Hier unterscheide ich zwischen primärer, sekundärer und tertiärer Einfühlung.
Primäre Empathie ist direkte Wahrnehmung
Nun könnte man meinen, das nur ich meine Gefühle direkt wahrnehmen kann und andere meine Gefühle nur über meine Gefühlsäußerungen erkennen können, erkennen, aber nicht wahrnehmen.
Sekundäre Empathie
Diese Erkennung von Gefühlen über ihre unmittelbaren Äußerungen nenne ich sekundäre Empathie. Wenn also jemand weint, so kann ich das sehen und hören. Aus meinen Wahrnehmungen der Stimme und der Ansicht des Gesichts und der Tränen, kann ich auf der Grundlage meiner menschlichen Erfahrung mehr oder weniger sicher schlussfolgern, dass da jemand traurig ist. Daher kann sekundäre Einfühlung auch über Vermittlungen funktionieren, wenn diese Medien, z. B. das Telefon, besser das Bild-Telefon, komplexe und zeitnahe Signale übertragen können, die als Ausdruck von Gefühlen zum Erkennen derselben führen können. Aber Erkennen ist nicht direkte Wahrnehmung.
Tertiäre Empathie
basiert nicht auf direkter Wahrnehmung und nicht auf unmittelbarer oder mittelbarer Ansicht der Gefühlsäußerungen, sondern auf der Interpretation von symbolischen Äußerungen, also hauptsächlich von Schrift. Sie ist daher die am wenigsten effektive Form und die Form die die meisten Fehlerquellen hat, weil sie von der Quelle am weitesten weg ist:
Erst ist da eine Bedürfnis. Dann ist das Bedürfnis unerfüllt, worauf hin ein negatives Gefühl aufkommt. Dieses wird vom Betroffenen irgendwann irgendwie wahrgenommen und möglicherweise oder auch nicht in direkte Gefühlsäußerungen umgesetzt, abhängig vom Grad der Entfremdung und dergleichen. Dann äußert sich der Betroffene zu einem späteren Zeitpunkt in Symbolen über das, was er meint damals wahrgenommen zu haben. Diese Symbole werden vom Einfühlenden entziffert, interpretiert, mit der eigenen Erfahrung dessen, was man glaubt verstanden zu haben verglichen und in die Erinnerung an entsprechende eigene Gefühle zurück übersetzt. Ggf. wird noch versucht, anhand der eigenen Meinung welches Gefühl zu welchem Bedürfnis gehört, eine entsprechende Transformation vorzunehmen. Dann kehrt man den Prozess wieder um und kommt zu Symbolen (Schrift), die man dem Betroffenen über ein womöglich auch zeitverzögerndes Medium zukommen lässt. In einem Wort: Ineffizient.
Zurück zur direkten Wahrnehmung von Gefühlen andere
Bis hier her hast Du wahrscheinlich gedacht, wenn Du eine Person plötzlich laut aufschreien hörst, würdest Du ihr Gefühl des Schmerzes direkt wahrnehmen. Aber so ist das nicht. Das wäre sekundäre Einfühlung. Wäre die Person stumm und stündet ihr Rücken an Rücken und sie würde sich nicht wesentlich rühren, während sie plötzlich einen sehr starken vielleicht sie lähmenden Schmerz verspürt und Du würdest, nicht sehend was hinter Dir geschieht, plötzlich einen Stich ins Herz bekommen, dann hättest Du ihr Gefühl direkt wahrgenommen. Das nenne ich primäre Empathie, unmittelbare Einfühlung.
Gefühle sind von unterschiedlicher Subtilität
Das fängt an mit Hunger und Durst und geht über Freude und Trauer auf Grund von Gewinn und Verlust, bis zu ANANDAM Glückseligkeit, spiritueller Erfüllung. Die Gefühle betreffen unterschiedlich grobe oder subtile existenzielle Ebenen des menschlichen Seins:
körperlich, emotional, intellektuell, psycho-spirituell.
Sie betreffen völlig unterschiedliche Funktionsebenen. Betrachtet man den Körper mal als eine Ansammlung von Zellen, so sind die energetischen Felder, die davon ausgehen können, nicht sehr weitreichend. Ich kann es nicht exakt eingrenzen, stelle mir aber vor, dass rein körperliche Gefühle anderer im allgemeinen nur bis auf Armeslänge von ihnen entfernt direkt wahrgenommen werden können. Ein leicht nachvollziehbares Beispiel dafür ist gefühlvolle Massage oder eine sexuelle Interaktion. Die rein körperliche Distanz ist Null, was die direkte Übertragung von körperlichen Gefühlen relativ einfach macht, nicht auf der Basis körperlichen Drucks und Bewegung, sondern wegen der kurzen Distanz. Der eine Körper sendet aus, der andere empfängt, aber nur, "wenn die Chemie stimmt".
Subtilere Gefühle, die nicht direkt körperbezogen sind, finden auf einer höheren mentalen Ebene statt, deren energetische Reichweite deutlich größer ist, vielleicht mehrere Meter, vielleicht mehr, abhängig von diversen Faktoren wie Intensität, Empfänglichkeit und ob man "die gleiche Wellenlänge" hat. Subtilere, höhere Ebenen des menschlichen Seins haben erfahrungsgemäß Reichweiten die leicht planetarische Ausmaße annehmen, in Fällen tiefer Verbindung. Wenn man also deutlich spürt, dass einer Person, mit der man eine tiefe Verbindung hat, die aber derzeit an einem ganz anderen Ort ist, etwas zugestoßen ist, dann ist das auch ein Fall primärer Empathie, direkter Wahrnehmung.