SNAFU-Prinzip

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Prinzip

SNAFU-Aufnäher

Das mit SNAFU bezeichnete Prinzip besagt, dass es im Kontext hierarchischer Beziehungen keinen ehrlichen Informationsaustausch gibt.

Name

SNAFU kommt aus dem amerikanischen Militär-Slang und bedeutet: "Situation Normal, 'All Fucked Up". Im Deutschen könnte man auch sagen: "Im Westen nichts Neues" Das impliziert, dass der Zustand "all fucked up" also "Alles im Eimer" für Frontsoldaten im Krieg als Normalität anzusehen ist. Dabei stehen die Frontsoldaten für die unterste Stufe einer hierarchischen Organisation. Und das Kürzel SNAFU ist der gesamte und einzige Inhalt ihres Berichts an die nächsthöhere Instanz dieser Organisation. Mehr gibt es nicht zu berichten. Wen interessiert schon, dass alle Toiletten kürzlich bombardiert worden und Gefreiter XY daher bei den Aufräumarbeiten in Einzelteilen in der Jauchegrube gelandet ist? 'Die da oben' wollen doch nur wissen, ob man die Stellung gehalten hat. Dafür ist SNAFU gerade genug Informationsgehalt.

Hierarchie

Eine Hierarchie in diesem Sinne ist jede Beziehung, die mindestens eine Abhängigkeit beinhaltet. Fast jede Beziehung beinhaltet Abhängigkeiten. Im Militär sind die Strukturen am deutlichsten als Befehlskette ausgebildet. In heutigen Arbeitsverhältnissen sind sie meistens auch noch sehr deutlich zu erkennen. Viele Arbeitnehmer (also Menschen, die ihre Arbeit für Geld verkaufen) befinden sich in deutlichen Zwangssituationen. Sie benötigen das Einkommen und sehen sich von daher gezwungen, fremdbestimmt zu arbeiten und dafür Sorge zu tragen, dass sie nicht gekündigt werden. Würden die Arbeitgeber (also diejenigen, die für das Ergebnis der Arbeit bezahlen) die Arbeitnehmer nicht unbedingt benötigen, würden sie wohl kaum bereit sein, ihnen regelmäßig erhebliche Summen zu bezahlen und so ihren Profit beträchtlich zu schmälern. Diese Abhängigkeit ist also eindeutig gegenseitig. Kinder sind von ihren Eltern einseitig abhängig, weil sie alleine nicht überleben würden. Sexualpartner sind gegenseitig voneinander abhängig weil sie für gewöhnlich - implizit oder explizit - sexuelle Exklusivität vereinbart haben. Es ist ihnen also nicht gestattet, mit jemand anderem als dem vereinbarten Partner Sex zu haben. Mitunter wird innerhalb einer solchen Partnerschaft auch sexuelle Selbstbefriedigung missbilligt. Das verschärft die gegenseitige Abhängigkeit zur absoluten Abhängigkeit. Im religiösen Kontext gibt es Organisationen (Kirchen) die mitunter von ihren Kadern eine geradezu militärische Disziplin fordern, die bis hinein in persönlichste, privateste Details geht, was es zu essen, zu sagen und vor allem nicht zu tun gibt (Zölibat). Priester werden als Funktionäre mit geradezu überirdischen Fähigkeiten ausgewiesen, Fähigkeiten wie das Schließen einer Ehe, Segnungen oder Vermittlung von Sündenvergebung, von denen der Laie abhängig ist. Produzenten sind von Händlern und Kunden abhängig und umgekehrt.

Ob eine "rein freundschaftliche" Beziehung wirklich frei von Abhängigkeiten ist, ist oft schwer zu sagen. Abhängigkeit ist immer das Gegenteil von Freiwilligkeit.

Unaufrichtige Berichterstattung

Wo es an Freiheit mangelt, nimmt die Unaufrichtigkeit zwangsläufig zu. Eine Seite hat eine Macht, die sie in Form eines Zwanges ausübt, die andere Seite versucht durch Manipulation der Kommunikation die für sie negativen Auswirkungen der Macht möglichst zu vermindern.

Der Nikolaus fragt die Kinder, ob sie denn auch brav waren. Alle Kinder lügen, obwohl keines von ihnen das ganze Jahr über immer brav war. Sie müssen lügen, sonst bekommen sie keine Geschenke. Der Nikolaus verfügt über die Macht, Geschenke zu verteilen, oder die Rute kreisen zu lassen. Mit seiner Frage, die nie auf Kompromisse abzielt, nötigt er die Kinder zur Lüge. Er will belogen werden. Die emotional unsichere Partnerin will belogen werden, wenn sie Ihren Mann fragt, ob er sie zu dick findet. Und der Mann will keine emotionales Theater sondern auch an diesem Wochenende wieder Sex. Der Bereichsleiter will belogen werden, wenn er seine Untergebene fragt, ob die Quartalsvorgaben einzuhalten sind. Er überlegt genau, wann der taktisch günstigste Zeitpunkt ist, von geplanten Entlassungen zu berichten. Der Priester sagt seinen Schäfchen nicht, welche Zweifel im Glauben er hat. Der Mann berichtet seiner Frau nicht von seinen Spielschulden. Schüler lassen Blaue Briefe verschwinden, wenn sie können. Steuererklärungen sind nie vollständig und ehrlich. Parteien reden vor der Wahl so und machen nach der Wahl etwas anders. Wissenschaftler fälschen Forschungsergebnisse um weitere Forschungsgelder zu bekommen. Anwärter auf eine Wohnung übertreiben gegenüber dem Vermieter bezüglich der Höhe und Sicherheit ihres Einkommens.

Die geschönte Berichterstattung und das Schweigen sind die beste und oft einzige Waffe des hierarchisch Unterlegenen.

Entscheidend für die Entstehung verfälschter Berichte sind nicht die tatsächlichen Umstände, sondern die Interpretation des berichtenden Individuums. Wesentlich ist, wie stark das Individuum glaubt, abhängig zu sein und was das Individuum glaubt, was von ihr oder ihm erwartet wird und was das Individuum glaubt, welche nachteiligen Folgen ehrliche Berichte für sich und die Seinen nach sich ziehen würden. Ein weiterer Einfluss ist die grundsätzliche Neigung des berichtenden Individuums zur Aufrichtigkeit und die Bedeutung eigener Wertvorstellungen sowie der Glaube daran, nachteilige Reaktionen verkraften zu können oder nicht verkraften zu können. Auch ist eine erwartete Benachteiligung unmittelbar durch den höher gestellten Empfänger des Berichts nicht unbedingt ausschlaggebend, wenn das berichtende Individuum andere Instanzen z.B. Göttliche Allwissenheit als mächtiger einschätzt und somit eher den vermeintlichen Geboten höher eingeschätzter Mächte folgt, was nicht unbedingt mehr Aufrichtigkeit nach sich zieht. So ist es z.B. nach dem Koran völlig legitim, die Ungläubigen und Angehörigen anderer Buchreligionen zu belügen.

Literarische Veranschaulichung

Deutsch

Am Anfang war der Plan

Und dann kamen die Annahmen Und die Annahmen waren ohne Form Und der Plan war ohne Substanz

Und Dunkelheit war auf den Gesichtern der Arbeiter Und sie sprachen unter sich und sagten: “Das ist alles Scheiße und es stinkt!”

Und sie gingen zu Ihren Aufsehern und sagten: “Das ist ein Haufen Mist und wir können mit dem Gestank nicht leben”

Und die Aufseher gingen zu ihren Leitern und sagten: “Es ist eine Ladung von Exkrementen, und es riecht sehr stark, so daß niemand es ertragen kann.”

Und die Leiter gingen zu ihren Direktoren und sagten: “Es ist wie eine Ladung von Düngemitteln und keiner kann seine Strenge ertragen”

Und die Direktoren sprachen unter sich und sagten: “Es enthält wohl das, was Blumenwachstum anregt und es ist sehr mächtig”

Und die Direktoren gingen zum Präsidenten und sagten “Dieser neue Plan wird aktiv das Wachstum und die Kraft unserer Firma fördern mit sehr wirkungsvollen Effekten”

Und der Präsident sah auf den Plan und sah, dass er gut war.

Und der Plan wurde die Vorgabe. Und schon war die Kacke am dampfen.

Übersetzung: Tim Pritlove]

Englisch

The SNAFU - Principle]

In the beginning was the Plan.

And then came the Assumptions.

And the Assumptions were without form.

And the Plan was without substance.

And darkness was upon the face of the Workers. And they spoke among themselves, saying, "It is a crock of shit, and it stinks."

And the Workers went unto their Supervisors and said, "It is a pail of dung, and we can't live with the smell."

And the Supervisors went unto their Managers, saying, "It is a container of excrement, and it is very strong, such that none may abide by it."

And the Managers went unto their Directors, saying, "It is a vessel of fertilizer, and none may abide its strength."

And the Directors spoke among themselves, saying to one another, "It contains that which aids plant growth, and it is very strong."

And the Directors went to the Vice Presidents, saying unto them, "It promotes growth, and it is very powerful."

And the Vice Presidents went to the President, saying unto him, "This new plan will actively promote the growth and vigor of the company with very powerful effects."

And the President looked upon the Plan and saw that it was good.

And the Plan became Policy.

And this is how shit happens.

Das SNAFU-Prinzip als Dilbert-Comic

Unterschied zu Stille Post

Bei der Stillen Post ist die Verfälschung ohne Ziel und Tendenz sondern lediglich eine Erosion, eine beliebige iterative Verfälschung bis hin zur Unkenntlichkeit. Auf den ersten Blick haben obige Beispiele große Ähnlichkeit mit Stille Post. Im Unterschied dazu ist aber eine deutliche inhaltliche Tendenz der Variation beim SNAFU-Prinzip zu erkennen.

Reales Beispiel aus der Wirtschaft

Andreas Pfitzmann in 'Der Phrasenprüfer' 1999:

Den Technikabteilungen waren die Probleme bewusst. Das heißt aber nicht, dass der Vorstand etwas davon weiß. Auch das hired hacking betrieben die IT-Leute der Firmen und nicht das Management. Keine Firma wollte das an die Öffentlichkeit bringen.

Noch ’99 habe ich jemanden aus dem Management einer deutschen Großbank bei einer Sicherheitstagung erlebt, der sagte: »In unserem Kernnetz haben wir noch nie Hackingaktivitäten gehabt.« Da ging ein Riesengelächter los und er verstand es nicht. Er hat es noch mal wiederholt. Darauf meinte ein Kollege: »Gelogen ist nur, wenn’s der andere glaubt.« Das hat der dann überhaupt nicht verstanden.

Es ist also immer noch so. Leute {im Management}, die die Systeme nicht kennen und denen die Rechenzentren- und IT-Leiter vorgaukeln, es sei alles bestens, werden einfach im Brustton der Überzeugung sagen: »Wir haben keine Probleme.«

Video-Interview von Martin Rost im Juni 2010 mit Andreas Pfitzmann über Datenschutz 3 Monate vor seinem plötzlichen Tod.

Implikationen

Man muss sich dessen bewusst sein, dass das SNAFU-Prinzip universelle Gültigkeit hat, völlig unabhängig davon, wann und wo man lebt und ob man selber oder andere es als ein Prinzip kennen oder nicht. Man wird in jeder hierarchischen Beziehung einen unaufrichtigen Bericht bekommen, egal aus welcher Richtung. Man wird auch selber unaufrichtig berichten. Erst, wenn man das voll und ganz akzeptiert hat, ist man in der Lage, damit produktiv umzugehen. Jeder Versuch, das nicht zu akzeptieren ist nichts anders, als das SNAFU-Prinzip in der Kommunikation mit sich selbst gegen sich selbst zu richten und den Kontakt zur Realität zu verlieren.

Wenn man den eigenen Informationsstand verbessern möchte oder die eigene Aufrichtigkeit verbessern möchte, muss man sich zuerst fragen, wo die Abhängigkeiten, die Zwänge für sich und andere liegen. In dem Maße, in dem man in der Lage ist, Abhängigkeiten und Zwänge abzubauen, wird die Kommunikation ehrlicher werden, nach und nach.

Freiwilligkeit als Grundlage ehrlicher Kommunikation ist erst dann gegeben, wenn einer sie gewährt und der andere die Erfahrung gemacht hat, dass er sie nutzen kann ohne nennenswerte Nachteile zu erleiden.